Die Vermessung der Welt
Am Anfang des 19. Jahrhunderts: zwei Männer erforschen die Welt. Der eine konzentriert sich auf das Sichtbare, der andere auf das Vorstellbare. Alexander von Humboldt, ein Adelsspross, reist nach Südamerika, um den Kontinent zu vermessen und fremdes Leben zu entdecken. Carl Friedrich Gauß, aus ärmlichen Verhältnissen stammend, forscht zu Hause am Schreibtisch und wird ein berühmter Mathematiker. Am Ende begegnen sich die beiden berühmt gewordenen Deutschen – sie sind alt und nicht unbedingt glücklich geworden. An der Verfilmung eines der seltenen internationalen Bestsellers der jüngsten deutschen Literatur war der Romancier Daniel Kehlmann selbst als Co-Autor am Drehbuch beteiligt.
Ihre Kindheit könnte unterschiedlicher kaum sein: Alexander von Humboldt, der Sohn einer Adelsfamilie, hat in Berlin die besten Privatlehrer, ein wohlhabendes, renommiertes Elternhaus und die Protektion der Mächtigen. Carl Friedrich Gauß wächst in ärmlichen Verhältnissen auf, wird von Mitschülern und Lehrern verprügelt und bekommt dann, als seine mathematische Begabung nicht mehr zu übersehen ist, doch noch ein Stipendium des Herzogs von Braunschweig. Dass es Alexander von Humboldt in die ferne Welt hinauszieht, während Gauß zu Hause Geborgenheit und eine sichere Heimat haben will, in der er seinen Forschungen nachgehen kann, lässt sich mit der unterschiedlichen Kindheit und Jugend der beiden Forscher nicht weniger plausibel erklären als mit ihren fast gegensätzlichen Begabungen, die indes einen gemeinsamen Nenner haben: eine grenzenlose Neugier. So geht es auch im Zentrum des Films nicht um die Definition der wissenschaftlichen Leistungen der beiden Männer, sondern um ihre unterschiedlichen Methoden, ihre Neugier in Kreativität umzusetzen. Alexander von Humboldt hat immerhin einen Reisegefährten dabei, den Franzosen Aimé Bonpland, der dem Deutschen an Lebensfreude überlegen ist und ihm auch einmal zornig die Frage stellt: „Warum müssen Sie so deutsch sein?“
Wie die Vorlage erzählt auch der Film lange in parallelen Episoden vom Leben und von den Unternehmungen der beiden Männer. Mit der visuellen Konkretisierung (gedreht wurde in Görlitz, Wien und Ecuador) ist die Geschichte handfester geworden – und der im Roman sehr sublime Humor klingt nun direkter, manchmal fast derb. Dabei ist es dem Regisseur und seinem prominenten Kameramann gelungen, die Bilder aus der deutschen Provinz des beginnenden 19. Jahrhunderts nicht minder intensiv zu gestalten als die exotischen Szenen vom Dschungel in Ecuador oder von Humboldts legendärer Besteigung des Chimborazo. Die Geschichte endet nicht mit der Verklärung der „großen Deutschen“, wie sie von zahlreichen deutschen Filmen über Jahrzehnte hinweg betrieben wurde; am Ende herrscht das Gefühl von Melancholie. Gauß ist ein alter Mann geworden, der aus der Begegnung mit dem bewunderten, aber vergreisten Immanuel Kant längst nicht mehr den Gewinn zieht, den er sich lange versprochen hatte, und Alexander von Humboldt ist noch einmal unterwegs, über Russland nach Asien, um dort als Wunderheiler verkannt zu werden. „Was bleibt?“, fragt er zum Schluss, und gibt selbst die Antwort: „Immer die Neugier!“
Bild © Boje Buck Produktion